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Wiener Kaffeehauskultur

Das Wiener Kaffeehaus ist weit mehr als profaner Treffpunkt zum nachmittäglichen Kaffeekränzchen, es ist eine Wiener Institution und seit 2011 sogar immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Für einige ist es das eigentliche Wahrzeichen von Wien. Schließlich haben die Wiener hier das Kaffeetrinken zur Kultur gemacht und damit zum Lebensgefühl erhoben. Während der Kaffee in all seinen Variationen ihr Lebenselixier ist, ist das Kaffeehaus ihr zweites, ihr verlängertes, ihr klassenloses Wohnzimmer. Nicht daheim, und doch zu Hause, kann man sich hier fühlen. Oder aber allein, und doch in Gesellschaft.

Mit den in jeder Metropole wie Pilze aus dem Boden schießenden Coffee Bars hat das altehrwürdige Wiener Kaffeehaus wenig zu tun. In einem Kaffeehaus, das etwas von sich hält, kann man weder einen Kaffee im Pappbecher für den Weg zur Arbeit bestellen, noch einen schnellen Koffeinkick im Stehen konsumieren. Das Kaffeehaus ist der Inbegriff Wiener Gemütlichkeit und als solches hat es seinen ganz eigenen Charme, aber auch seine ganz eigenen Regeln. "Auf der ersten Silbe betont, bezeichnet Kaffee ein Getränk, auf der zweiten betont, bedeuten Café und Kaffeehaus in Wien und Österreich eine Lebensform.", schrieb der Schriftsteller Hans Weigelt Ender der 1970er-Jahre.

Nicht daheim, und doch zu Hause

Das Einzigartige am Kaffeehaus ist die Ruhe, die der Gast genießen darf. Ruhe weniger im Sinne von geringer Umgebungslautstärke, sondern vielmehr im Sinne von unaufdringlichem Personal. Seitjeher stört es im guten Kaffeehaus niemanden, wenn man stundenlag bei einer einzigen Melange der Diskussion frönt oder in der Zeitung blättert. Hier gibt es keine geschäftstüchtigen Kellner, die einem alle fünf Minuten das Gefühl geben nun doch bitte den Platz für neue, zahlungswillige Gäste räumen oder wenigstens eine neue Bestellung aufgeben zu müssen. Das Kaffeehaus ist ein Ort, "in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht", heißt es etwa in der Begründung der UNESCO.

Überhaupt gibt es in einem Kaffeehaus keine Kellner und schon gar keine Kellnerinnen. Hier bedient noch der eine Fliege tragende Ober, der sich genau so von seinen Gästen rufen lässt. Nach dem Servieren der Erstbestellung hält er sich vornehm im Hintergrund und sieht von jeglicher Form der Gästebelästigung ab. Was von Unwissenden zuweilen als arrogant und grantig empfunden wird, ist vielmehr freundliche Zurückhaltung. Zumal der Ober seinen Gäste nach dem Heranrufen wieder vollste Aufmerksamkeit schenkt.

Schwarzer oder Brauner?

Besucher des Kaffeehauses sollten sich im Klaren darüber sein, dass es in Wien weder Espresso noch Cappuccino noch Latte Macchiato gibt. Zumindest nichts, was so heißt. Wer sich nicht von vorneherein als Tourist - oder schlimmer noch als Piefke - outen möchte, der sollte zuvor einen Blick in die Karte werfen und die Kaffeespezialität seiner Wahl mit der österreichischen Bezeichnung ordern. Bis zu 50 verschiedene Kaffeezubereitungen gibt es, die sich in der Zugabe oder dem Weglassen von Milch, Milchschaum, Obers, Schlagobers, Likören, Spirituosen, Zucker sowie ihrer Reihenfolge, Schichtung oder dem Trinkgefäß unterscheiden.

Wer den Bestellvorgang routiniert meistert, erhält binnen kürzester Zeit das bekannte Kaffeehaustablett, auf dem sich neben der Kaffeespezialität auch das obligatorische Glas Wiener Leitungswasser befindet. In der Regel gekrönt mit dem verkehrt herum aufgelegten Kaffeelöffel. Eine Eigenart des Wiener Kaffeehauses wird auch beobachten können, wer ein Stück Kuchen oder Torte bestellt: Serviette und Gabel liegen nämlich stets neben dem Kuchen- oder Tortenstück auf dem Teller.

Wiener Kaffeespezialitäten

Schwarzer (klein oder groß)
Mokka, ähnlich Espresso

Brauner (klein oder groß)
Mokka mit einem Schuss Kaffeeobers

Verlängerter (schwarz oder braun)
mit heißem Wasser verlängerter Mokka

Wiener Melange
halb Kaffee und halb heiß geschäumte Milch, ähnlich Cappuccino

Franziskaner
Melange mit Schlagobers- statt Milchschaumhaube

Kaisermelange
Mokka mit Eidotter und Honig, traditionell mit Schuss Weinbrand

Kaffee verkehrt
1/3 Kaffee und 2/3 Milch, ähnlich Latte Macchiato

Kapuziner
Mokka mit einigen Tropfen flüssigem Obers

Einspänner
Mokka mit Schlagobershaube, im Glas serviert

Fiaker
großer Schwarzer mit Zucker und Schlagobershaube, traditionell mit Schuss Rum,
im Henkelglas serviert

Den Kaffee haben die Wiener den Türken zu verdanken. Nach der Zweiten Türkenbelagerung, die übrigens erfolglos verlief, fanden die Wiener 1683 einige von den Osmanen zurückgelassene Säcke mit Kaffeebohnen. Der Legende nach hat man sie Georg Franz Kolschitzky überlassen, der sich tapfer auf die österreichische Seite geschlagen hatte. Er erhielt die Erlaubnis für den Ausschank von Kaffee und soll das erste Kaffeehaus eröffnet haben. Tatsächlich jedoch war es Johannes Diodato, der 1685 das erste Café der Stadt eröffnete. Der armenische Spion, der im Dienste des Wiener Hofes stand, war aufgrund seiner Herkunft bestens mit der Zubereitung der dunklen Bohnen vertraut.

Zwischen Tradition und Trubel

Was die Einrichtung angeht, unterscheiden sich die Wiener Cafés bisweilen stark voneinander. Besonders authentisch und deshalb besonders beliebt sind die traditionell ausgestatteten Kaffeehäuser, von denen es rund 150 in Wien gibt. Als typisch gelten die simplen Kaffeehausstühle von Michael Thonet und die Kaffeehaustische mit der obligatorischen Marmorplatte.

Nach dem großen Kaffeehaussterben in den 1960er- und 1970er-Jahren, wurden viele Kaffeehäuser in den 1980er- und 1990er-Jahren in ihren Ursprungsstil zurückversetzt. Besonders gut gelungen ist das beispielsweise beim Café Sperl, das nicht modernisiert, sondern behutsam restauriert wurde und daher eine besonders unverfälschte Atmosphäre bietet. Dazu zählt immer auch die behagliche Beleuchtung.

Auch wenn sich die Kaffeehäuser verändert haben, die Gründe sie zu besuchen, sind die gleichen geblieben. Und so ist das Kaffeehaus bis heute "eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann", wie Stefan Zweig es 1970 in seinem Buch "Die Welt von Gestern*" beschrieb. Ein Ort also, an dem man den größten Luxus unserer Zeit genießen kann: Zeit. Und die sollte man sich im Kaffeehaus auch nehmen.

Vom Literatentreff zum Surferparadies

Obwohl es noch immer viele Liebhaber der traditionellen Kaffeehauskultur gibt, ja einige sogar eigens wegen der Kaffeehäuser nach Wien reisen oder gar hierher ziehen, hat es diese Art von Gastronomiebetrieb nicht einfach. Die Zeit, als das Kaffeehaus um 1900 noch von Intellektuellen und Künstlern belagert wurde, ist lange vorbei. Die Kaffeehausliteratur, also literarische Werke die ganz oder zumindest teilweise im Kaffeehaus geschrieben wurden, zählt fasst schon zu den Klassikern. Heute wird das Geld mit Touristen verdient, die vor den bekannten Häusern im 1. Bezirk auch gern mal Schlange stehen.

Doch dem Tourismus zum Trotz ist das Kaffeehaus auch für die Wiener noch immer eine wichtige Adresse, besonders für die hier geborenen. Damals wie heute hat jede Szene ihr Stammcafé. So treffen sich Beamten gerne im Café Ministerium, Journalisten und Politiker im Landtmann, Künstler nach wie vor im Hawelka und Studenten im Prückel. Häufig werden hier Geschäftsbesprechungen, Lesungen, Präsentationen und Pressekonferenzen abgehalten. Rund 830 Kaffeehäuser gibt es in der österreichischen Hauptstadt. Bars und Restaurants, Kaffeekonditoreien und Stehcafés nicht eingerechnet.

Angesichts des vom Internet beeinflussten Wandel des Arbeitslebens, der immer mehr Heimarbeiter und Selbstständige hervorbringt, keimt neue Hoffnung für das Kaffeehaus auf. Immerhin benötigt die wachsende Zahl der selbstbestimmten Geldverdiener zum Arbeiten kaum mehr als einen Laptop, einen Internetanschluss und einen gelegentlichen Tapetenwechsel. Was den Internetanschluss betrifft, sind alle Wiener Kaffeehäuser vorbildlich. Kostenloses WLAN steht nämlich überall unkompliziert zur Verfügung.