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Zeitreise in den Kommunismus

Nowa Huta

Nowa Huta (Neue Hütte) ist ein großer Arbeiterstadtteil im Osten von Krakau, der 1949 als Standort eines Eisenhüttenkombinats gegründet wurde. Neben dem damals nach Lenin benannte Stahlwerk wurde die sozialistische Vorstadt auf dem Reißbrett geplant und in Rekordzeit aus dem Boden gestampft. Hier, am Geschenk Stalins an die Polen, durften sich Stararchitekten des Sozialismus austoben. Zunächst eigenständig, wurde Nowa Huta schnell eingemeindet.

Der Standort für Polens größtes Kombinat wurde aufgrund der günstigen Verkehrsanbindung an die Ukraine und den Rest der Sowjetunion ausgewählt. Zuvor befanden sich hier die fruchtbaren Felder mehrerer Dörfer. Seine Nähe zu Krakau (nur zehn Kilometer von der Altstadt entfernt) hat aber insbesondere auch politische Gründe.

Nowa Huta war nie nur als reine Industriestadt gedacht. Die Neue Hütte sollte als sozialistisches Arbeiterzentrum im Kontrast zum katholischen, kleinbürgerlichen und konservativen Krakau stehen. Deshalb wurde der Stadt auch eine Umerziehungsaufgabe zuteil: Dem bourgeoisen Einwohnern der alten Königsstadt sollten proletarische Arbeiter vorangestellt werden. Vor allem die Jungen sollte die traditionsbewusste Stadt "aufweichen".

Schöne Wohnungen für fleißige Stahlarbeiter

Den Arbeitern wurden dann auch gut ausgestattete Wohnpaläste hingestellt, zumindest für sozialistische Verhältnisse. Hohe Häuser und breite Straßen allein reichten aber nicht. Nowa Huta sollte eine unabhängige Arbeiterstadt mit kompletter Infrastruktur werden - und eben integriertem Arbeitsplatz. Bildungseinrichtungen, Kinderkrippen und die flächendeckende medizinische Versorgung waren besonders wichtig. Aber auch ein Motodrom, Parks, zwei Sportstadien, ein künstlicher See nebst Sandstrand, Spielplätze und ein Volkstheater wurden errichtet.

Noch heute führt die Unabhängigkeit dazu, dass ein Bewohner der Neuen Hütte, trotz der schnellen Erreichbarkeit, nur durchschnittlich zweimal im Jahr den übrigen Teil der Stadt besucht.

Die interessanteste Architektur des Viertels stammt aus den 1950er- und 1960er-Jahren und liegt am Zentralplatz (Plac Centralny). Genau hier befinden sich die großen, sonnigen Wohnungen, die alle weitläufige Grünanlagen in der Nähe haben. Die Bauqualität dieser Jahre war gut.

Die städtebauliche Komposition knüpft an den Barock an. Die äußere Gestaltung der Wohnblöcke griff sogar die Renaissance aus der Krakauer Altstadt auf. Der Sozialistische Realismus (Sozrealismus), wie man den Architekturstil von Nowa Huta nennt, ist eine Besonderheit bei sozialistischen Städten, deren Gebäude sonst eher neuklassizistisch gestaltet wurden. Gern wird Nowa Huta deshalb auch als schönste sozialistische Stadt bezeichnet. Das Zentrum steht unter Denkmalschutz.

Beim Besuch dieses Zentrums lohnt sich eine genauere Betrachtung der Wohnblocks, die alle eine geschlossene Einheit bilden. Zur Zeit des Eisernen Vorhangs rechnete man jederzeit mit einem Krieg. Deshalb erinnern die einzelnen Häuserblocks nicht von ungefähr an Festungen mit einem ganzen eigenen System an Durchgängen. Für Fremde gleichen die Blocks mit ihren Innenhöfen einem unergründlichen Labyrinth. Auch die vielen Grünflächen mit ihren Bäumen dienten nicht nur der Erholung und Verschönerung, sondern auch der Verteidigung. Wucherndes Grün sollte ganz im Ernst potentiellen Spionen die Arbeit erschweren.

In den 1970er- und 80er-Jahren wurde der kommunistische Größenwahn jedoch auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Billig und schnell wurden für den rasant wachsenden Bezirk graue Plattenbauten hochgezogen. Wenn heute von Tristes in Nowa Huta gesprochen wird, dann sind dafür vor allem diese Bausünden verantwortlich. Immerhin steht fast jedes geplante Gebäude noch heute.

Größter Industriestandort Polens

Allein die Grundfläche des Stahlwerks ist so groß wie die gesamte Innenstadt von Krakau. Ihr Aufbau, für den zahlreiche junge Polen nach Krakau kamen, war eine Meisterleistung. Ein Koloss aus hunderten Gebäuden, kilometerlangen Gleisen und Straßen sowie unübersichtlich miteinander verflochtenen Rohren. Von der Betonfabrik über die Kokerei bis hin zum Zementwerk befindet sich auf dem riesigen Gelände ein ganzes Konglomerat an Industriebetrieben. Mittlerweile wird freilich nur noch wenig davon aktiv genutzt.

Im Rekordjahr 1977 sorgten in der Hütte 38.000 Arbeiter für einen Ausstoß von 6,7 Millionen Tonnen Stahl. Zu dieser Zeit war die sozialistische Euphorie bereits verflogen. Um mit dem Westen mithalten zu können, musste man in Nowa Huta die Produktivität um jeden Preis steigern. Das erhöhte auch die Preise für die Bewohner, gleichzeitig wurden die Leistungen gekürzt. Die ausgestoßenen Schadstoffe belagerten die Lungen der Menschen und zersetzten Krakaus historische Fassaden.

Die Entwicklung führte dazu, dass sich ausgerechnet die sozialistische Idealstadt zur Hochburg der gewerkschaftlichen Widerstandsbewegung entwickelte. Solidarność belebte erneut die Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse. Aber wieder wurden die Stahlarbeiter bitter enttäuscht. Die Stahlhütte wurde 1990 nach der Entmachtung der Kommunisten nach ihrem Erfinder Tadeusz Sendzimir umbenannt. Das Werk wurde privatisiert, gerade mal ein Bruchteil der Belegschaft übernommen. Hunderttausende wurden arbeitslos und kämpften mit Identitätsverlust. Nur noch eine Million Tonnen Stahl werden pro Jahr erzeugt.

Kirche trotz Kommunismus

Einen Kampf haben die Bewohner von Nowa Huta gegen die Kommunisten immerhin gewonnen. Den für ihre Kirche. Ausgerechnet die von den Sozialisten umworbenen Arbeiter wollte von der von Marx geprägten Religionsfeindlichkeit nichts wissen. Sie pochten vehement auf ein Gotteshaus in der Neuen Hütte. Eine bereits 1956 erteilte Genehmigung wurde wieder zurückgezogen. Erst 1977 konnte Kardinal Karol Wojtyła, der ein Jahr später Papst Johannes Paul II. wurde, die Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen einweihen.

Heute leben in der Neuen Hütte, die ursprünglich für 100.000 Einwohner geplant wurde, 250.000 Menschen. Es ist der größte Stadtbezirk von Krakau und der am meisten verschmähte. Mit 20 Prozent ist die Arbeitslosigkeit bis heute hoch. Die kulturellen Unterschiede sind weiterhin groß, eine Verschmelzung mit dem übrigen Teil von Krakau hat nur bedingt stattgefunden. Genau diese Kluft der Kulturen, innerhalb einer gar nicht mal so großen Stadt, macht Nowa Huta heute zum Anziehungspunkt für Touristen.

Immer mehr Gäste aus aller Welt gehen auf Entdeckungstour im "Disneyland des Sozialismus". Stilecht werden sie von Stadtführern im Trabant umhergefahren um anschließend eine wie in den 1950er-Jahren eingerichtete Musterwohnung zu inspizieren. Wer es auch kulinarisch authentisch mag, der speist in einer der verbliebenen Milchbars. Anschließend genießt man den Blick über Nowa Huta samt Stahlwerk vom Wanda-Hügel.

Abseits des Sozialismus

Es gibt viele Pläne den Bezirk noch attraktiver für Besucher zu gestalten. Der Zentralplatz soll umgestaltet und belebt werden, auf dem Gebiet des Eisenhüttenkombinats, das derzeit nicht zugänglich ist, ein Museum über das Hüttenwesen entstehen und auch ein Ausstellungshaus, das sich mit der sozialistischen Zeit beschäftigt, ist im Gespräch.

Doch Nowa Huta hat nicht nur sozialistische Relikte zu bieten. Sehenswert ist zum Beispiel auch das Kloster Mogila. Die Zisterzienserabtei aus dem 13. Jahrhundert ist gemeinsam mit der benachbarten Holzkirche St. Bartholomäus das wertvollsten Baudenkmal des Bezirks. Auch ein Abstecher zum Sommerhaus des Malers Jan Matejko und ein Blick auf die benachbarte, Johannes dem Täufer geweihte Holzkirche lohnen sich.

Überhaupt kann man dank einer mit einem Bauverbot belegten Schutzzone um das Kombinat noch viel der dörflichen Bebauung sehen, die hier einst vorherrschte. Darunter auch zahlreichen Gutshäuser, Paläste und Sakralbauten. Dank vieler unberührter Naturflächen ist auch die Fauna und Flora vielseitiger, als es in einem so stark urbanisierten Gebiet normalerweise der Fall ist.