Botschafter hinter Gittern

Ist der Zoo noch zeitgemäß?

publiziert am 10.11.2016 in Allgemeines | kein Kommentar

In Deutschland gibt es keine andere Freizeiteinrichtung, die beliebter ist als der Zoo. Allein 2014 haben 33,4 Millionen Besucher die über 200 Zoos, Tier- und Wildparks besucht, die im Verband der Zoologischen Gärten (VdZ), der Deutschen Tierpark-Gesellschaft (DTG) und dem Deutschen Wildgehege-Verband (DWV) organisiert sind. Hinzu kommen nochmal rund 20 Millionen Besucher, die den gut 500 frei zugänglichen Wildtierhaltungen sowie diversen Kleinzoos, Reptilienzoos, Schauaquarien, Schmetterlingshäusern, Tiergehen, Volieren und dergleichen mehr einen Besuch abgestattet haben.

Dem enormen Bevölkerungsinteresse stehen die Tierschützer entgegen, die sich um das Wohlergeben der Tiere sorgen. Sie sind der Überzeugung, dass Wildtiere in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden können, was man manchen Tieren durchaus auch an Verhaltensstörungen wie dem ständigen Hin- und Herlaufen, dem übermäßigen Kratzen, dem übertriebenen Putzen oder dem Spielen mit den eigenen Exkrementen ansehen kann. Ist es also moralisch vertretbar, dass wir uns zum eigenen Vergnügen auf engstem Raum exotische Tierarten halten, die normalerweise bei ganz anderen Klimabedingungen Tag für Tag hunderte Kilometer zurücklegen und mit einer Vielzahl von Artgenossen zusammenleben?

Während sich diese Frage noch relativ einfach mit einem klaren Nein beantworten lässt, ist es deutlich schwieriger abschließend zu beurteilen, ob Zoos überhaupt noch zeitgemäß sind. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass immer mehr Arten vor dem Aussterben bedroht sind. Manche Tiere, wie beispielsweis das Wisent, haben nur überlebt, weil die letzten ihrer Art im Zoo gehalten, vermehrt und erfolgreich wiederausgesiedelt wurden. Und so streift der Europäische Bison sogar wieder durch die Wälder des Sauerlands, was freilich auch die Tierschützer erfreut.

Tiere, die Besucher anlocken, sind besonders schwer zu halten

Seit Jahren warnen Tier- und Umweltschutzorganisationen davor, dass wir bestimmte Tierarten bald nur noch in Zoos zu Gesicht bekommen, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten. Akut bedroht ist beispielsweise der Eisbär, dessen Population sich schon bis zur Mitte des Jahrhunderts auf nur noch ein Drittel verringern soll. Jenes Tier also, das dem Berliner Zoo, dem ältesten Deutschlands, durch Eisbärbaby Knut 2007 einen Besucherrekord bescherte. Bevor der von Hand aufgezogene Knut für ein internationales Medienecho sorgte, waren in Deutschland seit 1980 bereits rund 70 Eisbären von der Presse unbeachtet geboren und aufgezogen worden. Doch auch ungeachtet solcher Publikumslieblinge gibt es Türschützer, die sich dafür aussprechen, die Bewohner nicht mehr existenter Lebensräume, wie die Arktis bald einer sein könnte, in Würde aussterben zu lassen. Braucht’s den Zoo also wirklich?

Der Hauptstreitpunkt zwischen Tierschützern und Zoobetreibern ist seit Jahren die Haltung. Während die Tierschützer Zoos allenfalls noch als Auffangstationen für von den Behörden beschlagnahmte Tiere wollen, sind Menschen wie Dr. Thomas Kauffels, ehemaliger Präsident des Verbandes Deutscher Zoodirektoren, davon überzeugt, dass man grundsätzlich jedes Tier auch in Gefangenschaft artgerecht halten kann. Denn selbst in der freien Wildbahn besitzen Tiere keine unendliche Freiheit, sondern sind, anders als im Zoo, von nicht wahrnehmbaren Grenzen umgeben, zum Beispiel dem Territorium des natürlichen Feindes. Und wenn ein Tier sein Essen nicht jagen muss, sondern es serviert bekommt, dann sei es ganz natürlich, dass es weniger Kilometer zurückleget als im Freiland. Schließlich ist die Bewegung selten Selbstzweck.

Die Tiere, die die meisten Besucher anlocken, wie beispielsweise Bären, Elefanten, Nashörner und Raubkatzen sind ausgerechnet jene, dessen Haltung am kompliziertesten ist. Und wenngleich man hierzulande sicher nicht mit der Aufzucht und Auswilderung als Argument kommen kann, möchte kein Zoo auf diese Tiere verzichten. Weil sie Kassenschlager seien, meinen die Tierschutzorganisationen. Fakt ist aber auch, dass kaum ein Zoo selbst über die Runden kommt. Die Tierhaltung ist so aufwendig, dass fast alle Zoos Subventionen erhalten, wenn sie sich nicht ohnehin in kommunaler Trägerschaft befinden und somit von Steuergeldern finanziert werden.

Der Mensch schützt nur, was er kennt

Zoodirekten halten dagegen, dass ihre Einrichtungen doch nicht dazu da wären, Tiere zu quälen, sondern Tierarten am Leben zu halten. Sie erhalten die Genetik von Lebewesen, von denen es heute keine Population mehr gibt. Oft weil wir ihnen den Lebensraum gestohlen haben. Und weil der Mensch nur schützt, was er kennt, sei es umso wichtiger, den Menschen auch exotische Tiere näher zu bringen. Genau das war der Grundgedanke, als die ersten Zoologischen Gärten entstanden, so wie 1752 der Tiergarten Schönbrunn in Wien, der heute der älteste noch bestehende Zoo der Welt ist. Gerade in urbanen Gesellschaften sind sie wichtig, um den Bezug zur vielfältigen Tierwelt aufrecht zu erhalten. Und gleichzeitig dienen sie in Städten als grüne Naherholungsgebiete.

Die Zurschaustellung hat schon immer ein völlig falsches Bild vom Leben der Wildtiere gezeichnet, dennoch wird die Bildungsfunktion der Zoos selbst von Tierschützern nicht bestritten. Doch spätestens seit dem Jahrtausendwechsel sei dieses Argument überholt, so die Kritiker. Heute gibt es dank moderner Technik ganz andere Möglichkeiten als früher. Dokumentationen zeigen die Wildtiere in ihrer natürlichen Umgebung, so hochauflösend, als sei man dabei. Drohnen liefern spektakuläre Bilder von jagenden Löwen oder sich in Gewässern erfrischenden Zebraherden. Und mit dem Internet ist sowieso alles anders geworden. Schon vor Jahren hat die BBC den ersten Online-Zoo eröffnet. Mit tausenden Filmchen, didaktisch aufbereitet und in Großaufnahme, kann man unzählige Tiere aus aller Welt kennenlernen.

Dr. Kauffels aber ist überzeugt, dass kein noch so guter Film das vermitteln kann, was ein Zoobesuch vermittelt. Erst dort kann man sich von der Größe eines Elefanten einnehmen lassen, das Aussehen detailliert studieren und den Geruch jedes einzelnen Bewohners wahrnehmen. Das ist ein ganz anderes Erleben, als vor dem Fernseher. Erst im Zoo verliebt man sich in ein Tier und beginnt sich dafür zu interessieren und letztlich auch einzusetzen. Auch wenn Dr. Kauffels nicht bestreitet, dass sich Tiere in der Natur natürlich zwangsläufig anders verhalten als hinter Gitterstäben. Dennoch: Nur ein Bruchteil der Tiere, die in Zoos gehalten werden, ist tatsächlich vor dem Aussterben bedroht oder benötigt Hilfe bei der Vermehrung.

Weniger ist mehr, auch im Zoo

Immerhin kann man nicht behaupten, in den vergangenen Jahren hätte sich nichts getan. Sich von Tieren kleine Kunststückchen vorführen zu lassen, gilt heute in einer breiten Gesellschaftssicht als verpönt. Nach und nach schließt ein Delphinarium nach dem anderen. Die Delfinhaltung ist längst zum Politikum geworden. Doch noch immer gibt es die Shows, in denen Delphine durch Reifen springen und auf diese Weise das Publikum begeistern sollen.

Auf den Zoo in der Nähe will niemand verzichten, und doch können sie sich nicht selbst finanzieren. Das liegt mitunter auch an der Vielzahl der Zoologischen Gärten. In Nordrhein-Westfalen gibt es in einem Radius von 50 Kilometern gleich neun Stück. Es wäre sicher sinnvoll, wenn zumindest die kleinen Zoos, die sich die aufwendige Tierhaltung nicht leisten können, geschlossen werden würde und man die Zuschüsse stattdessen gezielt in moderne Einrichtungen fließen lassen würde, die die hoheitlichen Aufgaben, die Zoos eben auch erfüllen, gezielt wahrnehmen. Vielleicht ist die Haltung von Wildtieren, zumal fremdländischen, auch eine so sensible Aufgabe, dass sie gleich vollständig vom Staat wahrgenommen werden sollte.

Wenn das Geld gezielt fließt, und nicht jede Stadt meint einen eigenen Zoo haben zu müssen, dann können die Haltungsbedingungen weiter verbessert werden. Weniger ist mehr, das gilt auch im Zoo. Und so wären weniger Arten, aber dafür mehr Platz, ein erster Anfang für bessere Tierhaltung. Wenn Zoos untereinander mehr kooperieren, indem beispielsweise jeder andere Tierarten hält, mangelt es auch zukünftig nicht an Vielfalt. Und wenn die Zoos dann staatlich sind, kann man ihren Besuch auch kostenlos ermöglichen, als Ausgleich dafür, dass man vielleicht eine etwas längere Anfahrt hinnehmen muss, dafür aber auch glücklichere Tiere zu sehen bekommt.

Die Kommentare sind geschlossen.